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02.01.2022 – Frohes Neues: Vorsätze für Fettis (inkl. mir)

Inhaltswarnung: Fettfeindlichkeit, rassistische, sexistische und fettfeindliche Beleidigungen

Benenne es endlich
„Du bist fett.“
Worte haben viel Macht über uns. Sei mutig und nimm dir die Worte, die dich beschreiben. Für mich war es das Wort fett. Ich hatte vor keinem Wort so viel Angst in meinem Leben. Wenn es jemand benutzt hat, hat mein Herz immer einen kleinen Sprung gemacht, ich habe mich erschreckt. Selbst wenn es positiv genutzt wurde oder gar nicht, um einen Menschen zu beschreiben, hat es Angst in mir ausgelöst. Es gab auch andere Beleidigungen, die mir entgegengeworfen wurden, aber „Du bist fett.“ oder Sachen wie „Fette Sau“ haben bei mir Scham, Schuld und Angst ausgelöst. Während „B*tch“, „Türkenf*tze“ etc nur Wut, Angst, aber nie Scham ausgelöst haben. Deshalb war es für mich eine unglaubliche Befreiung als ich das erste Mal laut und ohne Scham gesagt habe „Ich bin fett, ich bin fett, ich bin fett“.
Nimm dir Zeit mit dem Wort. Versuche es erstmal zu Hause vor dem Spiegel. Verbinde dich mit Menschen, die das Wort bereits schamfrei für sich nutzen können. Hol das Wort in deinen Alltag, indem du Texte liest, indem es wertfrei genutzt wird, in dem du Leuten zuhörst, die es wertfrei aussprechen. Für jede Erinnerung daran, wie dir das Wort abwertend und beleidigend entgegengeworfen wurde, finde Sätze in denen das Wort liebevoll, empowernd oder wertfrei genutzt wird. Und wenn du zu Hause das erste Mal selbstverständlich und mit Selbstbewusstsein sagst „Ich bin fett“, dann geh raus mit dem Wort. Probiere es erstmal aus vor Freund*innen. Wie fühlt es sich an, wenn andere hören, dass du dich als fett beschreibst? Freu dich über die Verunsicherung und Angst in den Augen deiner dünnen Freund*innen. Das ist nicht mehr dein Problem, freu dich lieber darüber, dass in diesem Raum DU die Person bist, die Leuten mit diesem kleinen Wort Angst machen kann. Zwinkre deinen fetten Freund*innen zu und freu dich über die Freiheit, die du dir soeben erkämpft hast! Die Freiheit endlich schamfrei zu sagen wer du bist: wundervoll, stark und fett!
Worte haben viel Macht über uns, aber zumindest dieses Wort hast du jetzt in deiner Hand!
P.S.: Das Wort muss nicht „fett“ sein, es kann auch „dick“, „infinifat“ etc. sein.

Nimm deine Gesundheit endlich aktiv in die Hand
Gesundheit ist ein schwieriges Thema für uns Fettis. Ständig müssen wir beweisen, dass wir gesund sind, um unser Fettsein zu rechtfertigen. Schluss damit! Wenn wir von unseren Erfahrungen mit Unterdrückung berichten, tut unsere Gesundheit nichts zur Sache!
Also lasst uns in diesem sicheren Raum mal kurz ganz ehrlich über Gesundheit reden: Ich habe diverse Ängste, wenn es um meine ganz persönliche Gesundheit geht. Einerseits wegen familiärer Vorgeschichte, die mich für bestimmte Krankheiten besonders anfällig macht und andererseits, weil mir seitdem ich klein war eingeredet wurde, dass ich erkranken und sterben werde, wenn ich fett bleibe. Ich verdränge also ständig Signale meines Körpers, wenn etwas nicht stimmt, weil ich Angst habe. Ich habe unglaubliche Angst krank zu werden und mich deshalb schuldig zu fühlen. Ich habe Angst, dass mir medizinisches Personal Schuld gibt, meine Familie und Freund*innen wissend nicken „wir wussten es ja“ und alle eigentlich erleichtert sind, dass sie doch Recht hatten, und ich sterben werde wegen des Fetts.
Schluss! Man kann krank und fett sein. Man darf krank und fett sein. Unsere Familie und Freund*innen werden uns hoffentlich unterstützen sollten wir krank sein und alle die das nicht können, müssen nicht deine Familie oder Freund*in bleiben.
Auf der Seite meines Vaters sind alle herzkrank, alle, egal wie dünn oder dick sie waren und sind. Meine Oma Ilse, die ich so geliebt habe und die mich immer getröstet hat, wenn ich „zu viel“ gewogen habe, ist an Krebs gestorben. Meine Oma Ilse war nicht fett, nicht mal dick. Und trotzdem weiß ich ganz genau: Sollte was mit meinem Herzen nicht stimmen, wird es ein harter Kampf für mich gegen die erlernte Fettfeindlichkeit in mir anzukämpfen und mich auch noch genügend zu lieben um alle fettfeindlichen Ärzt*innen, Pflegepersonal und „wissende Blicke“ zu überleben.
Es wird hart, es wird das härteste was ich seit langem machen musste, aber ich und du, wir müssen das machen. Denn die Gesundheitsversorgung für uns ist schlecht, richtig schlecht. Fette Menschen werden nicht behandelt, Symptome nicht ernst genommen oder aufs Gewicht geschoben. Das heißt im Grunde interessiert es niemanden außer uns, ob wir es schaffen oder nicht. Das liegt daran, dass medizinisches Personal uns anguckt und nicht nur einen „verlorenen“ Fall sieht, sondern uns sogar als ekelhaft und nicht behandlungswürdig empfindet. Ich habe im Krankenhaus und im Rettungsdienst gearbeitet und die Fettfeindlichkeit, die ich dort erlebt (und an der ich teilweise teilgenommen) habe, wertet das Leben von fetten Patient*innen ab. Sätze wie „Wer so viel frisst, braucht sich nicht wundern“, „Die ist eh in zwei Wochen wieder da“, „Das lohnt sich hier nicht, der frisst sich das eh wieder kaputt“ sind keine Seltenheit. Verlass dich nicht auf medizinisches Personal, das dich als Störfaktoren sieht, der sie davon abhält, ihre „echten Patient*innen“ zu versorgen, fordere eine echte Behandlung. Statistisch sind fette Menschen von manchen Krankheiten öfter betroffen und gleichzeitig ist es in den Augen des medizinischen Fachpersonals oft eine Verschwendung von Ressourcen uns zu behandeln. Oft haben sie ja nicht mal Geräte, die uns eine Behandlung ermöglichen, weil der Stuhl uns nicht trägt oder die Öffnung des CTs zu klein ist. Ganz zu schweigen von der Ausbildung, die Besonderheiten bei der Lagerung und Pflege von fetten Körpern oft nicht mit einschließt. Eine der schlimmsten Situationen in meinem Praktikum war, als ich einen fetten Mann in den Keller zur Warenannahme auf die Warenwaage bringen musste, weil wir keine Personenwaage im ganzen Krankenhaus hatten, die ein Gewicht über 150kg messen konnte. Es gibt Personenwaagen, die das können und er war nicht das erste Mal vor Ort und er war auch nicht der Einzige.
Sie geben uns die Schuld an unseren Krankheiten, sie wollen ihre Krankenhäuser und Praxen nicht zugänglich für uns machen und da ist es egal, ob es ein gebrochener Fuß oder Diabetes Typ II ist. Wir müssen unsere Gesundheit selbst in die Hand nehmen!
Finde Freund*innen, die dich unterstützen können, sowohl bei der Informationsbeschaffung als auch bei Besuchen bei Ärzt*innen oder im Krankenhaus. Finde Menschen die ähnliche oder die gleichen Krankheiten haben wie du und tausche dich aus, um bei deinem nächsten Praxisbesuch informierte Fragen stellen zu können. Versuche auf deinem Körper zu hören, ignoriere ihn nicht, wenn er dir Signale sendet. Und vor allem kümmere dich um deine psychische Gesundheit, sag dir immer wieder, dass du keine Schuld hast, und beschäftige dich mit deiner Behindertenfeindlichkeit, werde deine Vorurteile darüber los, was krank sein bedeutet.

Liebe Luise, ich brauche dich hier, kümmere dich um deine Gesundheit.

Liebe Fettis, ich brauche euch hier, kümmert euch um eure Gesundheit.

Ruh dich aus und schlafe mehr!
Schlaf, eines der schönsten Dinge und trotzdem habe ich Probleme mit dem Schlafen. Ich hab Angst vorm ins Bett gehen und zwar vor diesem Moment den wir alle kennen, wenn wir still daliegen und unser Gehirn anfängt uns alles aufzuzählen, das schlecht ist an unserem Leben ist oder das wir noch erledigen müssen.
Aber Schlaf ist wichtig, und zwar sehr. Grade Menschen, die täglich mit Diskriminierung zu kämpfen haben, brauchen unbedingt viel Ruhe. Viele Studien zeigen, dass ein guter Schlafrhythmus wichtig für die körperliche und psychische Gesundheit ist.

Hier ein paar Sachen, die ich probieren werde:

Finde eine Schlafroutine, in der du was für dich selbst machst.
Bei mir: Eine Stunde zuvor kein Social Media, Zähne putzen, aufs Klo gehen, Hände und Gesicht waschen, Haare kämmen. Im Bett Füße und Hände eincremen, etwas lesen oder ein Hörspiel hören, mich loben für etwas das heute gut war oder für etwas, dass ich im Allgemeinen an mir mag (es darf beschissene Tage geben, aber du bist auch während beschissenen Tagen immer noch toll).

Den Raum vorbereiten:
Kein Handy am Bett, dunkles Zimmer, eher kühl dafür viele Decken und Kissen. Was zu trinken neben dem Bett und etwas zum Schreiben um Sorgen, ToDos etc loszuwerden (aufschreiben hilft oft beim Loslassen)

Lass anderen weniger durchgehen/ Sei unbequemer!
Wir laufen durch die Welt und ständig werden wir mit Fettfeindlichkeit konfrontiert. Werbungen, die fürs Dünnsein werben, Beleidigungen, aber auch subtile Verletzungen, die sich sogar in Artikeln oder Romanen feministischer Autor*innen finden lassen.
Kein Bullshit mehr! Während die Mehrheitsgesellschaft andere Formen der Diskriminierung anerkennt (wenn auch nur unter Bedingungen und nicht mit echter Konsequenz), ist unsere Unterdrückung noch nicht mal als solche bekannt. Alle machen fröhlich mit und die meisten finden Fettfeindlichkeit ist keine Diskriminierung, nein sie finden sie sogar berechtigt und gut.
Also kein Bullshit mehr, kein sich auf deren Level runterlassen mehr, keine Ausreden mehr.
Wir haben genug für uns selbst zu kämpfen jeden Tag, da müssen wir nicht auch noch Leute entschuldigen, die nicht mal das mindeste auf die Kette kriegen.
Wenn du die Kraft hast, sag ihnen, warum etwas diskriminierend, beleidigend oder verletzend ist und dann lass sie schmoren. Lass sie treten und schreien, lass sie sich verteidigen und rumheulen, das ist nicht dein Problem. Du bist nicht die Projektionsfläche für ihren Hass und du musst auch deine Erfahrung nicht beweisen. Du musst niemanden bekehren, du darfst einfach gehen. Und du bist auch nicht da damit sie sich mit ihren fettfeindlichen Äußerungen besser fühlen.
Gleichzeitig, mach dich nicht fertig, wenn du Freund*innen versichern willst, dass sie trotzdem noch deine Freund*innen sein können. Du schuldest auch uns keine Härte oder „Kampfgeist“. Aber sei vorsichtig, verbieg dich nicht damit andere sich besser fühlen, denn…
Während du deine Freund*innen tröstest weil die fettfeindlich waren, wer tröstet dich?

Eine Antwort zu „Blog”.

  1. Eine starke, Ansage, die gut und richtig finde. Weiter so…

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